Engineering Toolbox
Ingenieursprozesse zeichnen sich durch hohe Strukturierung, klare Methodik und standardisierte Verfahren aus. Allein darauf zu setzen, reicht jedoch oft nicht mehr aus, um als Unternehmen im Wettbewerb erfolgreich zu sein. Erfolgreiche Unternehmen verfolgen innovative Lösungsansätze und gehen oft nicht nur “besser”, sondern grundlegend anders vor.
Im Handwerk besagt eine Weisheit: “Gutes Werkzeug ist die halbe Arbeit.” Dies gilt ebenso für Ingenieure, wobei die Werkzeuge heutzutage vermehrt Softwarelösungen sind. Die meisten Ingenieursprozesse sind ohne passende Softwareunterstützung kaum noch vorstellbar. In vielen Fällen kommen dabei umfangreiche Standard-Systeme renommierter Hersteller zum Einsatz.
Standard-Tools versus Alleinstellungsmerkmale
Wie lässt sich der Anspruch, „Außergewöhnliches zu tun“ und „Dinge grundlegend anders zu machen“ mit der Nutzung von Standardprodukten vereinbaren? Wir sehen darin erst einmal keinen Widerspruch. Viele Schritte in Ingenieurprozessen betreffen Standardaufgaben, für die es bewährte Verfahren gibt. Für diese Zwecke ist der Einsatz von Standardprodukten effizient und ressourcenschonend, ganz im Sinne des Leitsatzes „das Rad nicht ständig neu erfinden“.
Allerdings stoßen selbst die besten Tool-Suiten an ihre Grenzen. Gerade an den Übergängen zwischen unterschiedlichen Organisationen oder umfangreichen Systemen entstehen oft Lücken. Das Schließen dieser Lücken ist in der Regel mit hohem manuellem Aufwand verbunden und daher fehleranfällig und zeitkritisch.
Ein Verlust an Effizienz ist zwar ärgerlich, kritisch wird es aber dann, wenn die im Produkt verfügbaren Standardverfahren nicht ausreichen und neue, innovative Verfahren und Methoden einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen. Schnell stellen sich dann die folgenden Fragen:
Lassen sich die Ideen mit dem Standardprodukt überhaupt in der gewünschten Form umsetzen? Ist dies in einem angemessenen Zeitrahmen mit vertretbaren Kosten möglich?
Gibt es die Möglichkeit, das neue Verfahren auszutesten, iterativ zu entwickeln, zu verbessern und während des Entwicklungsprozesses neu gewonnene Erkenntnisse einzubeziehen?
Möchte ich wettbewerbsdifferenzierendes Know-how vom Hersteller in seinem Produkt integriert sehen, wo es ggf. auch anderen zur Verfügung steht? Oder halte ich es geheim und integriere es selbst, bin dann aber auch für die Weiterentwicklung bei Release-Updates verantwortlich?
Das Ziel: Eine flexibel einsetzbare Engineering Toolbox
An dieser Stelle setzt unser Ansatz der Engineering Toolbox an. Wir vervollständigen den Software-Werkzeugkasten der Ingenieure durch spezialisierte, kombinierbare Tools auf Basis offener Schnittstellen und Standards. Unser Fokus ist es dabei, auf vorhandenen Lösungen aufzusetzen und neue Funktionen als Bausteine zu integrieren, um schnell und effektiv voranzukommen. Nach unserer Erfahrung lassen sich diese grob in zwei (nicht immer trennscharfe) Kategorien einteilen:
Integration Tools führen Daten aus verschiedenen Quellen zusammen und transformieren oder aggregieren sie, um sie anschließend an andere Systeme oder Prozesse weiterzugeben.
Enabler Tools setzen ein spezifisches Verfahren oder eine neue Methode um, für die es bisher keine passende IT-Unterstützung gibt. Beispiele sind die Validierung von Daten, die Überprüfung von Design-Regeln, die Automatisierung eines bestimmten Konstruktionsschritts oder bestimmter Berechnungsverfahren sowie individuelle Visualisierungen.
Meist entstehen solche Spezialwerkzeuge, um einen konkreten Bedarf zu abzudecken. In vielen Fällen ergeben sich in der Folge zusätzliche Anforderungen und Benefits, weil die neue Funktionalität auch in anderen Prozessen Nutzen bringt oder weil man im Verlauf des Projekts neue Möglichkeiten erkennt – „beim Essen kommt der Appetit“. Langfristig ergibt sich die Chance, einen modularen Werkzeugkasten aus vielseitig verwendbaren Einzelwerkzeugen aufzubauen, die sich flexibel kombinieren lassen.
Um derartige Potenziale zu erkennen und zu heben, empfehlen wir ein agiles Projektvorgehen. Damit können wir schnell und flexibel reagieren, um neue Fähigkeiten anhand des Feedbacks der Nutzer iterativ zu entwickeln. Die Szenarien sind dabei ebenso vielfältig und individuell wie unsere Kunden.
Bei der Wahl eines geeigneten Technologie-Stacks gibt es viele Möglichkeiten; oft bietet es sich aber an, die Werkzeuge als webbasierte Microservices umzusetzen. Dies bringt verschiedene Vorteile mit sich:
Automatisierungspotenzial: Bei einer Realisierung als Webservice steht die Funktionalität anderen Systemen für Automatisierungen zur Verfügung.
Gute Zugänglichkeit: Anwender erhalten Zugriff über einen normalen Webbrowser. Es muss keine Software installiert werden.
Integration: Ein Webservice in der eigenen Infrastruktur ist nicht auf Benutzereingaben oder eine einzelne Datenquelle beschränkt, sondern kann unterschiedliche Datenquellen nutzen und integrieren.
Flexibilität: Anpassungen und Erweiterungen sind schnell und unkompliziert möglich.
IP-Schutz: Durch die Umsetzung als eigenständigen Service bleibt das Know-how im eigenen Haus. Ist die Umsetzung webbasiert, erhöht dies den Schutz vor ungewolltem Kopieren und Verteilen noch zusätzlich.
Viele der von uns für Kunden entwickelten Systeme sind inhärent vertraulich. Ein repräsentatives Beispiel, welches wir vorstellen können, ist der Harness Navigator.
Harness Navigator
Beim Harness Navigator prallen zwei Welten aufeinander: Die Welt der geometrischen Bauraum-Untersuchung (DMU) und die Welt der elektrischen Verbindungen samt Ausstattungsvarianz im physischen Bordnetz. Beide werden erst einmal unabhängig voneinander entwickelt.
Die ursprüngliche Herausforderung war es, Bauraumuntersuchungen für spezifische Varianten eines Kabelbaums zu ermöglichen. Hierfür musste die „leere“ geometrische Hülle aller Varianten mit der Logik und dem Wissen über Ausstattungsvarianz kombiniert werden.
Die entstandene Lösung besteht aus zwei Bausteinen:
Ein Konverter als Integration Tool, der es ermöglicht, Bordnetzdaten in den Standardformaten KBL bzw. VEC mit 3D-Daten im Standardformat JT intelligent zu verknüpfen. Ursprünglich war der Konverter lediglich als Standalone Tool gedacht; mittlerweile ist er als Service fest in der IT-Landschaft des Kunden integriert.
Eine Fernsteuerung (der eigentliche „Harness Navigator“) als Enabler Tool, die es ermöglicht, Standard-3D-Viewer anhand von Bordnetzwissen „fernzusteuern“. Dadurch lassen sich 3D-Standardfunktionen wie „Ein-/Ausblenden“ und „Highlighten“ durch Logik triggern, die speziell für das physische Bordnetz zugeschnitten ist.
Durch die geschickte Integration vorhandener Produkte war es möglich, den Sonderfall Kabelbaum zu unterstützen und gleichzeitig die etablierten Funktionen bspw. für Kollisionsprüfungen im DMU zu verwenden.
Die neue Fähigkeit, das 3D-Modell anhand von Domänenwissen dynamisch anzusteuern, führte dann zu einer Reihe von weiteren Ideen. Beispielsweise lässt sich durch Einfärben auf einen Blick feststellen, ob Design-Regeln wie die Separierung redundanter Leitungsverläufe sichergestellt sind. Noch mehr Möglichkeiten ergaben sich in der Folge durch die Einbindung weiterer Datenquellen zu Fahrzeugkonfigurationen, Signalen und kritischen Leitungen.